Donnerstag, 14. Oktober 2010

Ein Gespenst geht um in Deutschland Eine neue stillschweigende Debatte über das Thema Behinderung

Ein Gespenst geht um in Deutschland, und es ist diesmal nicht im „Kommunistischen Manifest“ veröffentlicht, aber es geht – wie schon bei Karl Marx – um Finanzielles.

Wie die Website www.taubenschlag.de vor wenigen Tagen berichtet, fühlt sich ein Jugendamt beim Landratsamt im baden-württembergischen Rastatt mittlerweile bemüßigt, einer Familie mit gehörlosen Eltern eine Sorgerechtsentziehung wegen Verletzung der elterlichen Fürsorgepflicht anzudrohen, wenn die Eltern ihrem Kind kein Cochlea Implantat (CI) einsetzen lassen.

Worum geht es? Ums Geld, worum sonst?

Die Familie hat es gewagt, beim Sozialamt des Landkreises Leistungen für Gebärdenprachdolmetschung zu beantragen. Nun ist das Sozialamt allerdings der Ansicht – und damit steht es in Deutschland nicht mehr alleine, dem Verfasser sind mehrere weitere Fälle u.a. aus dem Bereich der inklusiven Beschulung bekannt -, wenn dem Kind ein CI eingesetzt würde, könne man schließlich dauerhaft Kosten sparen, zudem sei durch die Reparaturmaßnahme am Gehör doch die Integration am Leben in der Gesellschaft deutlich besser möglich.

Sind wir jetzt schon wieder so weit, dass behinderte Menschen ausschließlich nach Kostengesichtspunkten betrachtet werden?

Die Tendenz geht ganz offensichtlich in diese Richtung. Wenn wir neuerdings von behindertenpolitischen Sprechern der Regierungskoalition lesen, die Werkstätten für behinderte Menschen sollten zugunsten einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zunehmend reduziert werden, klingt das in den Ohren der Behindertenselbsthilfebewegung zunächst einmal wie Schallmeienklang. Liest man sich allerdings die – dürfitge – Begründung der Aussagen ein wenig intensiver durch, stellt man sehr schnell fest, dass hier – wie häufig im politischen Diskurs wie auch von Einrichtungsträgern – zwar das Vokabular der Behindertenbewegung benutzt wird, das dahinter stehende Moment aber keineswegs ein solches ist, dass den Ansprüchen auf gleichberechtigte Teilhabe genügen könnte. Es geht den Protagonisten sowohl der Sozialhilfeverwaltungen als auch dem politischen Establishment einzig und alleine um einen Gesichtspunkt, nämlich den, die – aus deren Sicht viel zu teure – Eingliederungshilfe finanziell „einzudampfen“.

Im Grunde verlangt der Landkreis Rastatt von den Eltern, dass sie ihr Kind gesellschaftskonform „reparieren“ lassen. Dabei darf man sich durchaus die Frage stellen, was dann der Grundgesetzartikel 3 Absatz 3 Satz 2, niemand dürfe wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, eigentlich noch für einen Aussagewert hat? Hier wird menschliches Leben – und das hatten wir vor fünfundsechzig, siebzig, fünfundsiebzig Jahren alles schon einmal – auf seinen „Nutzwert“ hin deklariert.

Wozu hat die Behindertenbewegung jahrzehntelang darum gestritten, als gesellschaftlich gleichwertig anerkannt zu werden, wenn jetzt kein gesamtgesellschaftlicher Aufschrei erfolgt, dass eine in der Mitte der Gesellschaft stehende Personengruppe aufgrund finanzieller Momente massiv diskriminiert zu werden droht?

Es ist ein winzig kleiner Schritt vom Kulturvolk zum Kulturbruch. Wir brauchen eine deutlich offensiv und offen geführte Diskussion darüber, inwiefern sich behinderte Menschen in die Gesellschaft „integrieren“ müssen oder ob nicht die Gesellschaft einer Verpflichtung unterliegt, sich so barrierefrei und antidiskriminatorisch auszugestalten, dass man als behinderter Mensch nicht wieder Angst darum haben muss, nur aufgrund seiner Beeinträchtigung als schiere Spielmasse im öffentlichen Leben behandelt zu werden.

„Nicht über uns ohne uns“? Es gilt hier vielmehr der Grundsatz, dass mit uns zu verhandeln ist, und nicht über unsere Köpfe hinweg.

Wo bleibt der gesamtgesellschaftliche empathische Aufschrei darüber, was uns da jetzt politisch und administrativ von den Verwaltungen gewollt aufgedrückt zu werden droht?

Mittwoch, 26. Mai 2010

CDU will sparen ... auf Kosten der Rentner und Arbeitslosen

In der CDU wird - relativ ernsthaft (?) - überlegt, massiv bei den Sozialausgaben zu sparen, wohl vorrangig bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung und der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Der stellvertredende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Meister fordert ostentativ, die Hartz-IV-Regelsätze müssten gekürzt ...werden; ins Gespräch bringt er eine Reduzierung um 30%.
Einmal abgesehend davon, dass das wohl dem kürzlich ergangenen Urteil des BVerfG hinsichtlich des soziokulturellen Existenzminimums in geradezu eklatanter Weise wiedersprechen dürfte wird hier m.E. der Bock zum Gärtner gemacht.
Zunächst lässt die Exekutive unter dem Aspekt der Globalisierung wirtschaftlich vollkommen unsinnige Börsengeschäfte wie sog. Leergeschäfte zu, sieht jahrelang tatenlos zu, wie sich auch dort eine durch nichts gerechtfertigte Luftblase entwickelt, um hernach diejenigen zur Kasse zu bitten, die - außer Sozialverbänden, die politisch sowieso kaum noch ein Gewicht haben - keinerlei Lobby haben. Das hat mit gesellschaftlicher und politischer Solidarität überhaupt nichts mehr zu tun, das ist in der Form sarkastisch und inhaltlich reiner Zynismus. Aber so kann man wenigstens von den tatsächlich Schuldigen an dem Desaster vielleicht wenigstens kurzzeitig wieder einmal ablenken, nachdem die Union ja momentan sowieso ihrem protagonistischen Rechtsausleger Koch erst einmal das ein oder andere Krokodilstränchen hinterher weinen muss. Da macht es sich für die Konservativen in der Union immer gut, wenn es den "arbeitsscheuen Sozialschmarotzern" mal wieder so richtig gezeigt wird. Und ... die Rentner wählen die Union ja sowieso, wieso also gerade auf diese Klientel noch Rücksicht nehmen?
Wäre der Satz durch Goebbels nicht so in Verruf, müsste mal allmählich wirklich sagen: Volk steh auf, und Sturm brich los!

Link zur Nachricht bei Spiegel Online: http://bit.ly/9iLCS0

Samstag, 27. März 2010

Die CDU Rheinland-Pfalz vollführt den schlimmsten bildungspol. Roll-Back-Versuch der letzten 30 Jahre bei behinderten Kindern

In Rheinland-Pfalz wurde vor wenigen Tagen ein Aktionsplan (der ersten auf der Ebene der Bundesländer) zur Realisierung der UN-Behindertenrechtskonvention veröffentlicht (der Link zum Aktionsplan...: http://bit.ly/aKwjEM). Neben viel Lob gab es auch Kritik der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsfraktion. Da ich den daraus folgenden Antrag an den rheinland-pfälzischen Landtag überaus brillant fand, konnte ich es mir nicht verkneifen, dazu einen Kommentar zu verfassen:

Die rheinland-pfälzische CDU-Landtagsfraktion hat -natürlich - recht mit ihrer Besorgnis. Und in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ist auch alles viel, viel besser gelöst als in einem Bundesland, dass sich berühmen darf, den agilsten Landes-Behindertenbeauftragten in ganz Deutschland zu haben. Hr. Miles-Paul macht - natürlich - nur heiße Luft, der Aktionsplan ist eine einzige Katastrophe, man muss sich geradehin schämen, das Papier auch
nur durchzulesen, so substanzlos liest es sich.
Aber mal im Ernst: Wie erbärmlich und wie herunter gekommen muss eine Fraktion eigentlich sein, um ihre sozial- und bildungspolitischen Sprecherinnen einen derartigen Blödsinn vom Stapel lassen zu müssen?
Während man in Rheinland-Pfalz immerhin konstatieren kann, dass Inklusion dort, vielleicht in teilweise arg kleinen Schritten, aber immerhin!, gelebt, propagiert und auch initialisiert wird (die Mühen der Ebene sind eben lang und es war uns allen klar, dass nicht sofort alles erreichbar sein würde) darf Baden-Württemberg seit Jahren als das behindertenpolitische rückständigste Bundesland in Deutschland gelten (mit knappem Vorsprung wohl auf den Freistaat Sachsen). Auch in Nordrhein-Westfalen muss man Fr. Sommer (die Kultusministerin dort heißt wirklich so) auch im Frühjahr, im Herbst und im Winter und nicht nur sommers "zum Jagen tragen". Wenn dort bildungspolitisch überhaupt etwas passiert, dann ausschließlich aufgrund von Initiativen, die nicht von der Koalition aus CDU und FDP kommen (die Elterninitiativen in NRW sind z.B. ausgesprochen rührig).

Die Forderungen der CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag lesen sich demnach auch wie ein Revival der Behindertenpolitik aus den 1970er Jahren: vollständiger Erhalt der Förderschulen und Zementierung dieses "Angebotes" durch die darüber hinausgehende Schaffung von sog. Kompetenzzentren (stimmt, Kompetenz wäre dort mal dringend vonnöten), schulische Inklusion nur dann, wenn es der segregativen Förderpädagogik frommt, man erfrecht sich auch nicht, jetzt auf einmal von Qualitätskriterien zu schreiben, wobei dieser Topos
in der Förderpädagogik der letzten Jahrzehnte nun wirklich eine absolut nachrangige Rolle gespielt hat (und der Themenkomplex der Schaffung quantifizierbarer Qualitätsstandards überhaupt erst mit der Diskussion über die schulische Inklusion ein Thema geworden ist; nun würde es nämlich auf einmal tatsächlich erforderlich werden, dass die sonderpädagogischen Zentren sich einem Qualitätsmaßstab stellen, den sie bis dato nicht einmal in Ansätzen erfüllt haben), die Schaffung eines berufsqualifizierenden Förderschulabschlusses (das wäre dann ein
Abschluss nicht mehr nur zweiter, sondern vierter oder fünfter Klasse; kein einziger Förderschüler würde mit einem solchen Abschluss eine hinreichende Berufsausbildung antreten können). Der einzige Punkt, der sich wenigstens halbwegs vernünftig liest, betrifft zwingend notwendige Fortbildungen für Lehrkräfte an Fördereinrichtungen (vielleicht hilft's ja was).
Mit einem Satz: Dieser Antrag ist der schlimmste bildungspolitische roll-back in der Schulpolitik für behinderte Menschen, den ich in den letzten Jahren gelesen habe. Der Antrag ist ein Skandal ohnegleichen.

Wenn das ernstlich die Bildungspolitik der Union sein soll, halte ich die Christdemokraten aus bildungspolitischer Sicht für nicht mehr wählbar.
Wie erbärmlich die Kritik der Union am rheinland-pfälzischen Aktionsplan ist, zeigt sich eindrücklich daran, dass sich der Antrag der Union (und dem Grunde nach auch ihre Kritik, substanzielles konnte ich ansonsten daraus nicht lesen) _ausschließlich_ bildungspolitisch
begründet wird. Begründet hat diesen Antrag augenscheinlich auch nicht die Fraktion, ich unterstelle, dass die Fördereinrichtungen hier massiven Lobbyeinfluss geltend gemacht haben. Anders ist ein solch wirklich dümmlicher Antrag kaum begründbar.
Ach ja, hier noch der Link zum Antrag der CDU-Fraktion: http://bit.ly/aKwjEM.

Freitag, 12. Februar 2010

Westerwelle: Praeceptor Germaniae oder doch nur ein völlig unmoralischer Schaumschläger?

Es geht Westerwelle und Konsorten natürlich um etwas ganz Anderes. Durch das vielfach jetzt aufbrechende Geschrei, der Sozialstaat ruiniere die Republik, soll lediglich kaschiert werden, dass die Schwerz-Gelben diese Promotion ganz überwiegend für eine sehr schmale Schicht der Bevölkerung betrieiben, nämlich denjenigen, die entweder überhaupt nicht darauf angewiesen sind, eigenes Erwerbseinkommen zu erwirtschaften oder deren Erwerbseinkünfte derart hoch sind, dass jegliche fundamentale Reform der bisherigen Grundischerungsgesetzgebung ihnen - finanziell - tatsächlich ein wenig "am Kittel flicken" würde. Indem Hr. Westerwelle letztlich die Arbeitsuchenden nicht nur für ihr Schicksal selbst verantwortlich macht, sondern darüber hinaus konstatiert, dass weite Kreise dieser Personengruppe gar nicht arbeiten wollten, schürt er eine ebenso alten wie falschen, vorwiegend von konservativer Seite, betriebene Anti-Sozialagitation, der allerdings auch Möchtegern-Besserwisser wie die Herren Clement und Schröder mit Freuden beigetreten sind (und dass die GRÜNEN die Hartz-Gesetzgebung mit "verbrochen" haben, macht sie als vorgeblich bürgerrechtlich orientierte Partei nicht wirklich glaubwürdiger).
Jede ernsthafte soziologische Studie zum Thema weist nach, dass nicht die Arbeitsunwilligkeit der Betroffenen sondern das Fehlen adäquater Jobs das Problem ist. Schlicht: Es gibt aufgrund sich verstetigender Automatisierung im Produktionsprozess zu wenig ordentlich bezahlte Erwerbsarbeit. Und bis Deutschland ein - dann auch mit anständigen Gehältern aufwartendes - Dienstleistungsland wird, werden vermutlich noch mehrere Generationen vergehen.
Ich kann dieses Gefasel von z.B. Fr. von der Leyen, wenn wir denn nur genügend Ganztageskrippenplätze hätten würde sich auch das Problem der Alleinerziehenden auf dem Arbeitsmarkt weitgehend erledigen, mittlerweile nicht mehr hören. Es gibt viel zu wenig Teilzeitarbeitsplätze. Durch eine zudem erfolgende geradezu absurd anmutende Anrechnungspraxis verschiedener Sozialleistungen (Kindergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld) rentiert sich eine Erwerbstätigkeit für gerade diesen Personenkreis überhaupt nicht.
Über die mich mit am meisten interessierende Klientel, behinderte Menschen, wird - bezogen auf den Arbeitsmarkt - seit Jahren nicht einmal mehr ernsthaft diskutiert. Die einzige ordentlich arbeitende Akademikerarbeitsvermittlung für diesen Personenkreis wurde vor einiger Zeit - aus Kostengründen - eingestellt, obwohl deren Ergebnisse ausgezeichnet waren. Selbst wenn man sich - wie ich - als Jurist auch nur selbstständig machen will, werden einem derart unüberwindbare Hindernisse in den Weg gelegt, dass sogar jemand mit einem ausgesprochen guten Nervenkostüm irgendwann der Verzweiflung nahe ist. Ich bin ggw. "nur" im EU-Rentenbezug, nichtsdestotrotz trifft mich das Geschwätz von Westerwelle, Weiß (der ja meint, man könne den Regelsatz, der gleich in vielfacher Hinsicht zusammen gemogelt wurde, um ihn um 30% unterhalb selbst der Erwerbseinkünfte des am wenigsten verdienenden Fünftels der Bevölkerung, jetzt durchaus kürzen, schließlich hätten die Grundsicherungsempfänger ja nunmehr wieder einen Anspruch auf einmalige Leistungen, wo jeder weiß, dass man sich von diesen lächerlichen 40,- €, die sämtliche einmaligen Bedarfe abdecken kann, nahezu nichts leisten kann) und Konsorten unmittelbar.
Wenn schon hoch qualifizierte, trotz Handicaps mobile und geradezu arbeitswütige Menschen wie ich vom System weitgehend sabotiert werden, wie muss es dann erst denjenigen gehen, die vielleicht nicht solche verbalen oder intellektuellen Fähigkeiten haben.
Dass der gesamte Sozialstaatsansatz von schwarz-gelb zutiefst unredlich ist, zeigt die gesamte jetzt nach dem Urteil aufgetretene Diskussion aus dem Regierungslager.

Hier noch der Link zu den Ausführungen von Guido Westerwelle auf Welt online:
http://bit.ly/9REBRT.

Dienstag, 9. Februar 2010

Ist die Agenda 2010 nach dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 gescheirtert?

Natürlich ist die Agenda 2010 gescheitert, weil sie von einem vollkommen verfehlten Menschenbild ausgeht. Bei der gesamten Hartz-Gesetzgebung hat sich der traditionelle sozialdemokratische Leistungsgedanke (gegen den im Grunde nichts einzuwenden wäre, hätten die Sozis nicht daneben das Element der Solidarität völlig aus dem Blick verloren, als sie die Grundsicherungsgesetzgebung beschlossen haben) mit einer neoliberalen Attitüde vermengt, die dem unter Kohl postulierte Credo, dass Leistung sich wieder lohnen müsse, endgültig zum Durchbruch verholfen hat. Ganze Personengruppen, von den Alleinerziehenden über behinderte Menschen bis zu sonstig sog. schwer Vermittelbaren, wurden bei dieser Gesetzgebung des "Forderns und Förderns" völlig außen vor gelassen, zumal das Fördern seit nunmehr fünf Jahren nahezu überhaupt nicht funktioniert. Die Agenda 2010 musste scheitern, weil nahezu sämtliche ihrer Prämissen falsch sind, folglich sind auch beinahe alle daraus gezogenen Schlussfolgerungen falsch.
Wenn man sich jetzt ansieht, dass die kommunalen Spitzenverbände ggw. um eine Verfassungsänderung dahingehend kämpfen, dass die Argen bestehen bleiben sollen (die Bundesagentur für Arbeit hat daran kein wirkliches Interesse), dann doch nicht deshalb, weil es den Leistungsträgern um die vorgebliche Leistung aus einer Hand geht, die bei sämtlichen oben genannten Personengruppen gerade _nicht_ funktioniert. Nein, bei allem Gejammere, wie viel Hartz IV doch insbesondere die Kommunen koste: Durch die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe haben vor allem die Kommunen ein massives Sparpotenzial entdeckt, dass sie in den letzten Jahren zum Teil geschickt dadurch ausgebaut haben, dass sie die sie selbst betreffenden Kosten der Unterkunft in großem Umfang pauschaliert haben, gerade mit eben solchen Rechentricks, mit denen schon der verfassungswidrige Regelsatz begründet worden ist.
Machen wir uns nichts vor: Es ging zuallerletzt und zuallerwenigst darum, Menschen tatsächlich wieder in Arbeit zu bringen (bei sieben Mio. Leistungsempfängern der Grundsicherung und des Sozialgeldes wäre das wohl auch ein eher hehrer Anspruch). Es ging - unter dem Postulat der vermeintlichen Folgen der Globalisierung - einzig und alleine darum, am unteren Rand der Bevölkerung ein Sparpotenzial zu offenbaren, das es den Unternehmen durch eine weitgehende Reduzierung des Entgeltniveaus auf dem Niedriglohnsektor erst ermöglichte, den sharholder value so richtig prmonient in den Vordergrund zu stellen. Dazu muss man nicht einmal ein Linker sein, das sieht in letzter Konsequenz selbst ein Prof. Sinn im Ergebnis nicht wesentlich anders. Und genau das war politisch doch auch gewollt. Was man einzig der SPD als Partei und den vermeintlich bürgerrechtlich orientierten GRÜNEN vorwerfen kann ist, dass sie diesem Basta-Kanzler bei dessen erbärmlichen Muskelspielchen im Parlament auch noch gefolgt sind und sich von dessen Vertrauensfrage in dieser Angelegenheit haben "aufs Kreuz legen" lassen.
Wenn ich heute allerdings bereits zum Teil lese, die momentane Regierungskoalition könnte sich pilatisch "die Hände in Unschuld waschen", schließlich sei sie ja an der Hartz-Gesetzgebung nicht beteiligt gewesen, zeigt das einmal mehr die vollendete Scheinheiligkeit politischer Argumentation. Zum einen haben die Schwarz-Gelben das gesamte Hartz-Paket natürlich mitgetragen, es entsprach ja seit jeher ihrer politischen Überzeugung. Zum anderen: Wer konnte die momentane Regierungskoalition auf Bundesebene denn daran hindern, ein tatsächliches Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu beschließen, indem die Regelsätze auf das existenznotwendige Minimum von ggw. um die 480,- € erhöht worden wäre? Da lese ich heute schon wieder in SPIEGEL online - und man möchte beinahe meinen, es ginge unmittelbar um das Geld des schreibenden Redakteurs: Was das den Staat wieder alles kosten wird?
Na und! Als die Spekulanten die Wirtschaft beinahe "in den Graben" gefahren haben, hat auch kein Mensch mehr danach gefragt, wie teuer das Ganze wohl werden könnte. Da ging es auf einmal nur noch nach dem Prinzip "Vogel friss oder stirb". Ist also eine Volkswirtschaft in Gefahr, ist jedes denkbare Mittel recht, widerspricht es auch noch so sehr jedem Marktmodell. Geht es aber "nur" um sieben Millionen von Grundsicherung und Sozialgeld Betroffene, darf lustig drauflos gespart werden, die Klientel kann sich ja zum einen kaum wehren, zum anderen hat sie auch nicht das Geld, die regierenden Parteien für ihre eigene Zweckverfolgung zu schmieren, wie das die Hotellerie offensichtlich in großem Umfang zu können in der Lage zu sein scheint.

Hier noch der Link zum Urteil, das ich in den nächsten Tagen vermutlich noch besprechen werde:
http://
bit.ly/anvmbD.

Montag, 18. Januar 2010

Worum es Roland Koch mit seinen arbeitsmarktpolitischen Vorschlägen (Arbeitspflicht für sog. "Hartz-IV-Leistungsempfänger") eigentlich geht

Man muss die Äußerungen von Roland Koch, der durch solche Aussagen ja nicht erst jetzt auffällt, in einem Gesamtzusammenhang sehen. Kochs angedachter Bundesarbeitsdienst ist einem Modell entlehnt, das er vor einigen Jahren in Wisconsin in den Vereinigten Staaten vorgeführt bekommen hat. Allerdings kennt der Staat Wisconsin - und das weiß Roland Koch als Jurist natürlich ganz genau - zwei wesentliche Voraussetzungen nicht, die einen solchen Bundesarbeitsdienst (das Wort ist von mir bewusst gewählt und soll ebenso bewusst an einen anderen Arbeitsdienst vor knapp 70 Jahren erinnern) erst möglich machen würden. Zum einen gibt es in der Bundesrepublik das Verbot von Zwangsarbeit. Nun kann man sich füglich darüber streiten, ob die Verpflichtung zur Annahme jeder zumutbaren Arbeit für sich genommen nicht schon nahe an einen Zwangsarbeitsdienst heran reicht. Eine förmliche Arbeitsverpflichtung bei Erhalt staatlicher Leistungen dürfte die Trennlinie sodann jedoch endgültig verwischen.
Der zweite Punkt: Obwohl die
Arbeitslosenversicherung in Deutschland als weitgehend abgeschafft gelten darf, gibt es hier ein System der Leistungsgewährung aufgrund Versicherung nach wie vor. Ein solches System ist in den USA jedoch allenfalls unter noch viel erschwerteren Bedingungen vorhanden, es gibt gerade unter Obama Ansätze, eine weitgehende Gesetzliche Krankenversicherung einzuführen.
Letztlich wollen Koch, der "Wirtschaftsweise" Franz mit seinem Vorschlag, die Leistung eben einmal um 100 Euro zu kürzen, und Konsorten eigentlich von einem viel tiefer gehenden Problem ablenken: Es gibt in einer nachindustriellen Gesellschaft wie der unseren zwar genug zu tun, aber schlichtweg nicht den Willen, für solche Dienstleistungen auch anständige Entgelte zu bezahlen. Das momentane System der Ausgrenzung der Nicht-Habenden ist ja durchaus so gewollt.
Insofern ist Koch ein Protagonist einer Politik, die die eigene vermögende Klientel bedient und die Mittelschicht und die Geringverdiener immer weiter schröpft. Das ist politisch so gewollt (das Drama ist, das war unter Schröder zu Zeiten von rot/grün schon nicht viel anders), man will sich schließlich seine potenziellen Parteispender - von noch dubioseren Angelegenheiten gar nicht zu
schreiben - ja durchaus nicht verprellen.
Und natürlich handelt ein homo politicus wie Koch mit einem politischen Kalkül. Einmal spricht er mit seinen rhetorischen Auslassungen natürlich die politische Rechte in der Union an, die sich unter der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zunehmend in die Defensive gedrängt sieht, zum anderen forciert Koch - wie im Übrigen auch schon Franz - den Druck auf das Bundesverfassungsgericht, das angekündigt hat, in wenigen Wochen über die Regelsätze nicht nur für Kinder, wie es die ursprünglichen Anträge vorgesehen haben, sondern auch für erwachsene Leistungsempfänger entscheiden zu wollen. Bei dem Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Senat deutlich erkennen lassen, dass er die Regelsatzgestaltung insgesamt für unplausibel und - wichtiger - für inhaltlich ungerecht und das Existenzminimum nicht abdeckend hält.
Nun ist die politische Rechte bekannt dafür, dass sie seit einigen Jahren durch sprachlichen Furor versucht, das Bundesverfassungsgericht einzuschüchtern, wenn ihr eine - hier ja noch gar nicht ergangene - Entscheidung nicht passt, erinnert sei nur an den Kruzifix-Beschluss oder die Rechtsprechung zu dem Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder". Man darf gespannt sein, ob sich das Bundesverfassungsgericht dem politischen Druck, es geht um Milliarden von Euro, nicht doch beugen wird. Immerhin geht es ja "nur" um erwerbslose Menschen. Würde das Bundesverfassungsgericht einknicken, wäre das für diese Demokratie ein schlimmerer Sündenfall als all die politischen Skandale und Skandälchen in den letzten Jahren, die nicht unbeträchtlich zur Parteienverdrossenheit beigetragen haben.